Fast täglich spiele ich mit unseren beiden Jungs Fußball. Entweder bei uns im Garten oder auf dem Fußballplatz um die Ecke. Das macht auch mir großen Spaß, denn schon als Kind habe ich selbst lange im Fußballverein gespielt und bin daher sicher nicht die schlechteste Spielerin. Meine Position war damals meistens das zentrale Mittelfeld. Viel hin und her zu rennen, war damals kein Problem für mich, denn ich war damals sehr sportlich und trainiert. Etwas, das ich heute übrigens gerne zurück hätte.
Mit den Spielregeln des Fußballs bin ich also gut vertraut. Der Schiedsrichter ahndet bekanntlich Regelverstöße, indem er als Verwarnung die gelbe Karte und als endgültigen Platzverweis die rote Karte zückt. Mit seinem prüfenden und kritischen Blick hat er die Spieler die gesamte Spieldauer über genau im Blick, wobei sein Fokus ausschließlich auf dem Fehlverhalten der einzelnen Spieler liegt.
Wann verstößt jemand gegen die Regeln? Wer streckt sein Bein zu hoch und riskiert damit Verletzungen seines Gegenspielers? Wer zerrt dem anderen an der Kleidung? Wer tritt beim Kampf um den Ball seinem Gegner unverhältnismäßig heftig gegen die Beine? Welcher Feldspieler berührt den Ball mit der Hand, obwohl das nur dem Torwart vorbehalten ist?
Was für eine Negativ-Brille sich der Schiedsrichter während des gesamten Spiels regelrecht aufsetzen muss, um kein Fehlverhalten zu übersehen und entsprechende Konsequenzen durchzusetzen.
Die grüne Karte
Mein Dreijähriger, der gerade erst im Begriff ist, die Regeln des Fußballs zu verstehen, übernimmt bei uns zu Hause sehr gerne die Rolle des Schiedsrichters. Während unser Siebenjähriger und ich im Garten Fußball spielen, klettert unser Dreijähriger auf unser Baumhaus, um das Fußballspiel von ganz oben im Blick zu haben und um uns natürlich lauthals darüber zu belehren, wann einer von uns unfair spielt.
Und um seinen Job als Schiedsrichter auch vorbildlich zu erfüllen, hat sich unser Dreijähriger vor Kurzem seine eigenen Schiedsrichterkarten angefertigt (siehe Foto). Nämlich eine gelbe, eine rote und eine grüne Karte.
M-o-o-o-ment! Eine grüne Karte? Beim Fußball? „Die gibt’s doch gar nicht!“, erklärte ich ihm.
„Wieso nicht, Mama? Wenn du dich an die Regeln hältst, dann muss ich dir das doch auch zeigen!“, entgegnete er mir wie selbstverständlich. Was für ein kluges Kind, dachte ich. Und was für ein wunderschöner Gedanke!
Lob = Antriebskraft
In unserer erwachsenen Welt, die besonders im Job von Leistungsdruck, zwischenmenschlichen Vergleichen und fehlender Wertschätzung geprägt ist, sind wir Erwachsenen es in der Regel gewohnt, für unser Fehlverhalten verurteilt und kritisiert, gegebenenfalls sogar sanktioniert zu werden.
Das Ausbleiben von Lob haben wir schon lange stillschweigend akzeptiert. Lob ist oft kein selbstverständlicher Teil unseres Alltags mehr. Wir werden selten explizit gelobt. Und wir selbst loben auch selten unsere Mitmenschen.
Was mir normal vorkommt, findet mein Dreijähriger nicht normal.
Denn ein „Das hast du gut gemacht.“ kann ausnahmslos jeder Mensch gebrauchen. Mehr noch, jeder Mensch hat es verdient, dass seine Anstrengung gesehen und von Zeit zu Zeit auch lobend erwähnt wird.
Denn Lob treibt uns an. Es ist wie ein Motor. Eine positive Rückmeldung, die wir über unser Verhalten oder unsere Leistung erhalten, gibt uns das Gefühl, beachtet und gesehen zu werden. Geschätzt zu werden für das, was wir tun oder wer wir sind.
Nicht nur kleine Kinder brauchen Lob. Erst recht sind es die Erwachsenen, die Lob und Anerkennung benötigen, um im Leben zurecht zu kommen. Denn Lob wirkt oft viel stärker als Kritik. Lob erweckt positive Kräfte in uns.
Authentisch loben
Dabei soll Lob nicht wahllos und ständig verteilt werden. Nein, damit ein Lob auch tatsächlich glaubhaft wirkt, sollte es möglichst persönlich und konkret formuliert sein und dosiert, jedoch regelmäßig ausgesprochen werden.
Beispiel: „Es hat mir gut gefallen [persönlich], wie du den Kunden beruhigt hast, als dieser ärgerlich geworden ist [konkret].“.
Und wenn man ein Endergebnis nicht loben kann, weil es vielleicht doch nur mittelprächtig ausgefallen ist, dann kann man dennoch durchaus die Anstrengung loben, die der Mensch unternommen hat. Indem man zum Beispiel sagt „Ich sehe, du hast dir Mühe gegeben.“.
Wie gut wir allerdings selbst mit der Fähigkeit ausgestattet sind, ein an uns gerichtetes Lob auch anzunehmen, ist ein anderes Thema, auf das ich an anderer Stelle nochmal gesondert eingehen werde.
In diesem Sinne bemerkte nämlich bereits Sigmund Freud:
„Gegen Angriffe kann man sich wehren. Gegen Lob ist man machtlos.“
Die Grenzen des Lobs
Damit Lob auch tatsächlich wirksam sein und uns auch in Zukunft im Sinne einer pädagogischen Intervention zu besseren Verhaltensweisen anspornen kann, muss jedoch eines beachtet werden: Das Verhalten, über das wir gelobt werden, muss für uns selbst steuerbar sein. Niemand kann in etwas besser werden, was er schlichtweg (noch) nicht beherrscht.
Beispiel: Ein Schüler, der die Regeln des Fußballs noch nicht verstanden hat, kann auch nicht durch Lob (und übrigens auch nicht durch Tadel!) zu besseren fußballerischen Leistungen angeregt werden. Noch deutlicher wird dies bei Fremdsprachen. Jemand, der gar kein Italienisch spricht, wird es auch durch Lob nicht besser können. Weil ihm schlichtweg die nötigen Grundkenntnisse fehlen.
Zuerst gilt es also, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen, damit im zweiten Schritt Lob überhaupt wirksam sein kann.
Nun meine Frage an dich:
Wen hast du heute schon authentisch und aufrichtig gelobt? Und wofür?