Wir haben Herbst. Bunte, verwelkte Blätter fallen zu Boden und bedecken Straßen und Gehwege. Die Temperaturen sinken und wir tragen wieder flauschige Pullis und meterlange Schals, in denen wir aussehen, als wollten wir Winterschlaf halten. Wenn wir morgens aufwachen, dann ist es kalt und dunkel und wenn wir das Haus verlassen, liegt ein grauer Wolkenschleier über uns.
Sind wir dann mit dem Auto unterwegs, müssen wir ganz besonders aufpassen. Denn war die Sicht gerade noch klar, so können wir schon im nächsten Augenblick in eine dicke Nebelschwade geraten, die über der Fahrbahn auftaucht und die uns ganz plötzlich die Sicht nimmt. Auf einmal können wir nichts mehr sehen und wir müssen unser Tempo verlangsamen, um zu verhindern, dass wir einen Unfall bauen.
Wie bedrohliche Situationen uns den Kopf vernebeln
Genauso geht es uns manchmal auch im Alltag. Jeder Mensch hat sie schon einmal erlebt: Situationen, in denen bei uns plötzlich unangenehme Gefühle ausgelöst werden. Eine anmaßende, herabwürdigende Bemerkung, eine aus unserer Sicht ungerechtfertigte oder verletzende Kritik an uns oder ein schwieriger Gesprächsverlauf, der Konfliktpotential birgt und schwer verdaulich für uns ist.
All dies trifft uns. Plötzlich und unerwartet. Wir fühlen uns irritiert und gekränkt und haben auf einmal große Schwierigkeiten, unsere Gedanken zu ordnen. Wir ringen nach den richtigen Worten, fühlen uns wie in einem Tunnel und nehmen unsere Umgebung nur noch eingeschränkt wahr. Wir spüren eine bedrohliche Angst, fühlen uns unbehaglich und unter Druck gesetzt.
Dieses Phänomen hat einen Namen. Es nennt sich „psychologischer Nebel“ und wurde erstmals von Vera Birkenbihl beschrieben. Tatsächlich ist den meisten Menschen nicht bewusst, wie häufig sie im Alltag in einen solchen Zustand psychischer Vernebelung geraten, der vor allem eines bedeutet, nämlich ein vorübergehender Verlust unserer Selbstkontrolle.
Die Evolution hat es gut gemeint
In unserer Menschheitsgeschichte war es vermutlich überlebenswichtig, wenn wir in bedrohlichen Situationen nicht zu viele zeitraubende Gedanken (psychische Energie) verschwendet haben, um über den Auslöser unserer Erregung nachzudenken, sondern wenn unser Gehirn uns schnellstmöglich auf Kampf, Flucht oder Totstellen vorbereitet hat.
Heute bringt uns dieser einst funktionale Überlebensmechanismus leider nicht mehr allzu viel, wenn uns der Chef fragt, warum wir schon wieder zu spät kommen oder weshalb die gewünschte Powerpoint-Präsentation nicht bereits letzte Woche fertig war.
In solchen Momenten fühlen wir uns häufig wie gelähmt. Wie in Schockstarre fällt uns keine versöhnliche Antwort ein, um die Situation zu entschärfen. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir entweder gar keine Worte herausbringen oder wir werden nichtssagenden Stuss von uns geben, der uns am Ende noch schlechter fühlen lässt.
So ist es für uns nur ein schwacher Trost, dass heutzutage kein blutrünstiger Säbelzahntiger mehr vor uns steht, der uns gleich fressen möchte. Denn einen wütenden Chef vor sich zu haben, der maximal unzufrieden ist mit unserer Arbeit oder unserer Arbeitshaltung, ist zwar streng genommen heute nicht mehr lebensbedrohlich, doch mindestens genauso psychisch bedrohlich für uns.
Statt also in Momenten derartiger Bedrohungen in einen regungslosen Schockzustand zu verfallen, täten wir in der heutigen modernen Zeit gut daran, wenn wir in solchen Momenten einen „kühlen“ Kopf bewahren könnten und prompt eine geistreiche Antwort parat hätten.
Der erste Schritt raus aus der Schockstarre
Das Zauberwort lautet: Schlagfertigkeit. Wortwörtlich bedeutet das, dass wir die Fertigkeit haben, sofort zum (verbalen) Schlag anzusetzen, wenn wir angegriffen werden.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn vielen von uns wurde diese Fähigkeit, auf eine unerwartete Bemerkung schlagfertig zu reagieren und damit unser Gegenüber kurzerhand zu entrüsten, nicht in die Wiege gelegt. Im Gegenteil. Blitzschnell eine blitzgescheite Antwort zu geben auf eine verbale Attacke, die man nicht kommen gesehen hat, müssen die meisten von uns sich erst einmal antrainieren. Das braucht Zeit und Gelegenheiten.
Damit es euch gelingen kann, möglichst schnell aus einem Schockzustand herauszukommen und nach einer verbalen Attacke sofort handlungsfähig zu sein, möchte ich euch heute meine Lieblingstechnik verraten. Sie ist einfach und kann von jedem rasch erlernt werden.
Was in mir vorgeht, ist immer richtig
Eine Antwort, die wir einem angriffslustigen Gegenüber immer geben können, ist es, diesem mitzuteilen, was das Gesagte gerade mit uns macht UND dann konkreter nachzufragen.
„Ich bin gerade überrascht, dass du das so siehst. Wie meinst du das?“
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„Deine Bemerkung irritiert mich gerade. Kannst du mir genauer erklären, wie du das meinst?“
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„Das hab ich noch nicht ganz verstanden. Möchtest du also sagen, dass …“
Diese Strategie bringt gleich zwei Vorteile mit sich: 1) Ihr reagiert. Und verfallt nicht in eine regungslose Schockstarre, die sich für euch unbefriedigend anfühlt. 2) Ihr spielt sprichwörtlich den Ball zurück an euer angriffslustiges Gegenüber, sodass dieses nun gefragt ist, etwas zu erwidern. Dies kann euer Gegenüber allein schon dadurch irritieren und entrüsten, weil es seine feindlichen Worte noch einmal konkretisieren soll. Und ihr gewinnt dadurch Zeit, um darüber nachzudenken, was ihr als nächstes tun wollt. Häufig braucht ihr danach aber gar nichts mehr zu unternehmen, weil der Angriff des Gegenübers nun quasi verpufft ist.
Je häufiger ihr diese Herangehensweise im Alltag trainiert, desto leichter wird es euch in Konfliktsituationen, in denen ihr verbal angegriffen werdet, fallen, möglichst schnell und sachlich zu reagieren.